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Von Jürg Conzett, erstmals publiziert (auf Englisch) in: Bridge Design and Engineering, Aug. 2018
Nachruf auf Professor Christian Menn
Am 16. Juli 2018 ist Christian Menn im Alter von 91 Jahren gestorben. Mit ihm verliess uns der Schöpfer von bedeutendsten Brücken.
Am 16. Juli 2018 ist Christian Menn im Alter von 91 Jahren gestorben. Mit ihm verliess uns der Schöpfer von bedeutendsten Brücken. Er wurde am 3. März 1927 in Meiringen geboren. Sein Vater Simon Menn arbeitete dort als Bauingenieur an Strassenprojekten, unter anderem auch in Kontakt mit Robert Maillart. Die Mittelschule besuchte Christian Menn in Chur, anschliessend studierte er Bauingenieurwesen an der ETH Zürich. Nach seinem Diplom 1950 folgten praktische Lehrjahre bei Ingenieurbüros und Bauunternehmungen in Chur, Zürich und Bern. Danach assistierte er von 1953 bis 1956 bei Professor Pierre Lardy, einem aussergewöhnlichen Ingenieur und passionierten Lehrer. Pierre Lardy war ausserdem Doktorvater von Christian Menn; Kreisringträger und Wendelfläche ist der Titel seiner Doktorarbeit. Die Assistenz- und Promotionsjahre bei Professor Pierre Lardy beeinflussten Christian Menn in seiner Arbeitsweise. David Billington beschreibt – neben anderen – auch dieses Lehrer-Schüler-Verhältnisse in seinem Buch «The Art of Structural Design – a Swiss Legacy» und zeigt als Beispiel auf, wie der weltoffene und auch künstlerisch feinfühlige Pierre Lardy den jungen Christian Menn prägte.
Ein Jahr nach der Promotion 1956 und weiteren praktischen Erfahrungen in Bern und Paris gründete Christian Menn sein eigenes Ingenieurbüro in Chur. Zudem eröffnete er 1964 in Partnerschaft mit Hans Hugi ein zweites Büro in Zürich.
Christian Menn begann seine Laufbahn als Brückenbauer mit kühnen Brücken im Averstal, bei denen er zunächst ganz in der Maillart-Tradition Dreigelenk-Hohlkasten und versteifte Stabbogen erstellte. Im Gegensatz dazu zeigt die gleichzeitig entstandene Stennabrücke in Flims die neuen Möglichkeiten des vorgespannten Betons; die sich zu den Brückenenden hin leicht verjüngenden Träger tragen wesentlich zur eleganten Erscheinung bei. Wie er in seinen Vorlesungen darlegte, begann er aber das Prinzip des versteiften Stabbogens – der für eine strikte Arbeitsteilung in Druck im Bogen und Biegung im Fahrbahnträger steht – kritisch zu hinterfragen. Die Auseinandersetzung führte dazu, dass er dem natürlich vorgespannten Bogen einen gewissen Anteil der Biegung aus asymmetrischen Einwirkungen zuwies. Das heisst, er bildete den Bogen stärker aus, als es Maillart in seinen Stabbogen getan hatte und sparte dafür Material im Versteifungsträger. Dank des steiferen Bogens konnte er schliesslich die Stützen zwischen Bogen und Fahrbahn in grösseren Abständen anordnen, was die Bauphase vereinfachte und zur Leichtigkeit und Eleganz dieser Brücken beträgt. Bogen und (nun vorgespannte) Fahrbahn wirken in einem vom entwerfenden Ingenieur zu bestimmenden Mass zusammen – weil Christian Menn auf Maillarts strikte Arbeitsteilung verzichtete, entstanden zwar statisch komplexere, aber dadurch auch sehr anpassungsfähige Brückentragsysteme. Mehrere dieser technisch durchdachten und ästhetisch attraktiven «Menn-Bogen» finden sich entlang der San Bernardino-Strasse zwischen Chur und Bellinzona; die bekanntesten sind die Rheinbrücke Tamins (für die Flimserstrasse), die Viamalabrücke und die nacheinander auf dem gleichen Lehrgerüst erstellten Nanin- und Cascellabrücken im Misox. Bemerkenswert ist auch die Brücke über den Valserrhein zwischen Uors und Surcasti, die die Bergstrasse mit einem ausserordentlich schmalen Bogen über die Schlucht des Valserrheins führt.
Dann realisierte Christian Menn einige Brücken von grossen Dimensionen: im Jahr 1971 gewann er den Wettbewerb für den Felsenau-Viadukt der Nationalstrasse A1 in Bern. Die Brücke gehört mit 1116 m Länge zu den grössten Kunstbauten des schweizerischen Strassennetzes. Sie quert in ihrem mittleren Teil das bewohnte und auch als Erholungsgebiet dienende Aaretal. Der siegreiche Entwurf überzeugte die Jury mit dem Konzept, das Aaretal mit einem einzelligen Hohlkasten und weit ausladenden Konsolen in grosszügigen Spannweiten zu überbrücken und dafür in den anschliessenden bewaldeten und unbesiedelten Partien rationell herstellbare Träger mit kurzen Spannweiten zu verwenden. Ich stand während des Baus auf dieser Brücke. Da ich Brückenbauer werden wollte und mein Vater mit Christian Menn befreundet war, durfte ich an einem Sonntag im Sommer 1974 den Meister auf die Baustelle begleiten. Für mich Siebzehnjährigen war dies eine prägende Erfahrung, und ich erinnere mich mit grosser Dankbarkeit, wie Christian Menn seinem jungen Zuhörer alle Details dieses Brückenbaus präzise erläuterte.
1971 wurde Christian Menn als Professor für Baustatik und Konstruktion an die ETH Zürich berufen, wo er erst 1992 emeritierte. Auch während seiner Professur entwarf er weiterhin Brücken, meist in Zusammenarbeit mit entsprechend orientierten Ingenieurbüros. In seinem Entwurf der Ganterbrücke am Simplonpass meisterte er die Schwierigkeiten des auf der Südseite tiefgründig rutschenden Baugrunds mit einem elastisch reagierenden Rahmensystem. Die Pfeilerfüsse der Südseite besitzen eine austarierte Nachgiebigkeit, die durch die grosse Steifigkeit der oberen Rahmenknoten mit ihren vorgespannten Betonscheiben ermöglicht wird. Beton wird hier zu einem universell einsetzbaren Baustoff, der dank Vorspannung allen möglichen Beanspruchungen widerstehen kann. Christian Menn führte uns Studenten durch einen engen Entwässerungsstollen in den an eine Kathedrale mahnenden hohlen Schacht unter dem hohen Pfeiler der Südseite und erläuterte uns aufschlussreich, dass das Gewicht des ausgehobenen Materials der Auflagerkraft des Pfeilers entspricht; damit bleibt der Spannungszustand im Hang generell unverändert. Wir kletterten anschliessend hoch auf die im freien Vorbau 87 m weit auskragenden Brückenträger, die sich in diesem Bauzustand leicht zu Schwingungen anregen liessen. Es waren einprägende und beeindruckende Momente auf einer Brücke, die damals schweizweit die grösste Spannweite aufwies und die heute noch zu den eindrücklichsten Brückenbauwerken zählt.
Christian Menn blieb auch danach ein rekordbrechender Brückenbauer – mit der Sunnibergbrücke bei Klosters von 1998, die mehrfach preisgekrönt zu einer Ikone der Region wurde, und der 10-spurigen Bunker Hill Brücke über den Charles River in Boston von 2003, die mit 56 m Breite die wahrscheinlich breiteste Schrägseilbrücke der Welt ist. Neben diesen wohlbekannten und jedes Mal von neuem beeindruckenden Werken befasste sich Christian Menn auch mit nur scheinbar nebensächlichen Themen. Besonders beeindruckt hat mich sein Aufsatz «Architektur und Unarchitektur im Strassenbau» (in Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 44/1984, S. 861 ff. - vgl. Link unten), in dem er sich auch mit der ästhetischen Wirkung von Stützmauern befasste, diesen zahlenmässig häufigsten Ingenieurbauten an alpinen Strassen. Oder ich denke an seine Forschung «Brückenträger mit Unterspannung», bei der er eine relativ einfach zu bauende Plattenbrücke mit filigran wirkenden Unterspannungen versah. Für die Gestaltung der Verbindungen zwischen Träger und Unterspannung zog Christian Menn den Architekten Marcel Meili bei (publiziert in Schweizer Ingenieur und Architekt 9/1987, S. 200 ff.). Dieses Brückensystem wurde bislang allerdings noch nicht umgesetzt, steht aber exemplarisch für seinen Ideenreichtum für Brückenkonstruktionen.
Christian Menn war ein unkonventioneller Charakter. Manchmal waren seine Äusserungen provozierend; so kritisierte er einmal eine meiner Brücken als allzu extravagant, denn eine Brücke sei dann gut, wenn sie viele Male kopiert werde. Darin zeigte sich seine letztlich klassische Ambition; seine Werke sollten zu allgemeingültigen Prototypen werden – er war der letzte Held der modernen Bewegung, in der festen Überzeugung, Fortschritt entstehe aus intelligent eingesetzter Technik. Christian Menn war ein Kämpfer, ein kreativer Entwerfer und ein begeisternder Professor. Und vor allem war er ein kultivierter Ingenieur, der es verstand, in seinen Bauten technische Fragen virtuos zu meistern und sie gleichzeitig hervorragend in ihre landschaftliche Umgebung zu integrieren.
Jürg Conzett
j.conzett@cbp.ch