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Mit Johann Clopath spricht Clementine Hegner-van Rooden, Publizistin im Bereich des Ingenieurbaus und Geschäftsleiterin der Gesellschaft für
Interview mit Johann Clopath - dem Herausgeber des Buchs zu Richard Coray
«SO KAM ALLES STÜCK FÜR STÜCK ZUSAMMEN.»
«Das kann ma mache» – das ist nicht nur ein Ausspruch des Gerüstbauers Richard Coray. Das muss auch der Leitspruch von Johann Clopath gewesen sein, als ihm die Idee kam, ein Buch zum Gerüstbaupionier herauszugeben. Allerdings nicht im Auftrag, sondern vollends in eigener Regie. Zum Glück hat er so lange, so geduldig und so hartnäckig daran gearbeitet – es ist ein wirklich gewichtiges Werk geworden!
Mit Johann Clopath spricht Clementine Hegner-van Rooden, Publizistin im Bereich des Ingenieurbaus und Geschäftsleiterin der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst.
cvr: Herr Clopath, sie haben in den letzten Jahren etwas ganz Besonderes geleistet. Es ist das Buch zu Richard Coray, dem weltberühmten Schweizer Gerüstbauer aus dem bündnerischen Trin. Er war ein Pionier der Bautechnik und bereits zu Lebzeiten weit über die Schweiz hinaus bekannt. Sie scheuten keinen Aufwand, um jedem Hinweis nachzugehen, um jeden Fundus minutiös zu durchleuchten, um jede weitere Recherchemöglichkeit ausreizen. Entstanden ist ein über 500-seitiges Werk, das neue Inhalte zeigt und noch kaum gesehene Bilder publiziert. Der Verlag schreibt: «Es ist eine längst überfällige Hommage an diesen Grossmeister der Ingenieurbaukunst» und die Gesellschaft für Ingenieurbaukunst ist stolz, dass sie diese umfangreiche Publikation über diese aussergewöhnliche Persönlichkeit finanziell unterstützen durfte. Wie kam es denn überhaupt dazu?
Johann Clopath: Ich habe das Werk von Richard Coray vor schon bald 40 Jahren kennen gelernt. Ich lebte damals bereits etwa 10 Jahre in Trin, dem Heimatort von Richard Coray. Die Leute kannten ihn noch. Man wusste, wer er war. Und es gab kaum eine Familie, die nicht einen Bezug zu ihm hatte. Der Papa, der da gearbeitet hatte. Der Enkel, der Geschichten kannte. Diese Nähe gibt einen speziellen Bezug. Es interessierte mich, wer diese schillernde Figur aus unserem Dorf war. Wenn Coray im Engadin gewohnt hätte oder im Kanton St. Gallen aufgewachsen wäre, dann hätte ich die Arbeit sehr wahrscheinlich nicht in Angriff genommen. Als ein ehemaliger Arbeitskollege von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) zu mir kam und mich fragte, ob ich wisse, dass Coray 2019 150 Jahr alt würde, war das der Initialstoss, um mich genauer mit dieser Person und seinem faszinierenden Werk auseinanderzusetzen. Ich sprach mit Leuten aus dem Dorf. Ich erzählte, dass Coray am 30. Juli 2019 seinen 150. Geburtstag feiern könnte und sein Todestag sich am 3. Oktober 2021 zum 75. Mal jähre. Zum Beispiel setzte ich mich mit einem Grossneffen zusammen, der Enkel eines Bruders von Coray, der bald 90 Jahre alt ist. Er konnte sehr viel erzählen. Ich suchte nach Fotos, schrieb einen Artikel in der Zeitung und rief auf, sich bei mir zu melden, wenn man etwas zu berichten hätte. Das ist nun bereits etwa 5 Jahre her. Mit dem erhaltenen Material schrieb ich einen Beitrag für den romanischen Kalender «Per mintga gi».
cvr: Wie waren die Reaktionen auf diese ersten Recherchen und den Artikel?
JC: Der Artikel kam sehr gut an. Die Menschen in meinem Umfeld waren begeistert von der Geschichte, und es ergaben sich interessante Rückmeldungen. Tatsächlich erhielt ich auch Post aus Schlieren von Elsbeth Kasper-Brunner. Sie gab mir einen ganzen Stapel Bilder von dem Werk und den Arbeiten von Richard Coray. Ich habe diese bei mir eingescannt und gesichert. Dieser Moment war ein weiterer Anstoss, meine Zeit in meinem Ruhestand in weitere Nachforschungen zu Richard Coray zu investieren. Leider konnten neben dem Grossneffen und den Enkeln Corays nicht viele Personen ausführlich und detailliert von Richard Coray erzählen. Da beschloss ich, die Zeitungen von damals zu durchforsten. Da hatte ich viel mehr Glück. Der Komponist und Sänger Hans Erni – bekannt und beliebt bei den Romanen – war Redaktor von zwei romanischen Zeitungen: «Il Grischun» und «La Casa Paterna». Der um zwei Jahre ältere Lehrer, Politiker, Komponist und Autor war ein Zeitgenosse Richard Corays und ebenfalls in Trin aufgewachsen. Die beiden haben sich gekannt und vermutlich auch sehr geschätzt. Erni verfolgte die Aktivitäten und die Arbeit von Richard Coray während seines ganzen Lebens. So fand ich ab den Ausgaben von 1906 in beiden Wochenzeitungen immer wieder kürzere und längere Beiträge über den Gerüstbauer – mit kleinem Unterbruch von 1916 bis 1921. Erni schrieb, wann Coray wo war und was er zwischenzeitlich wieder getan und geleistet hatte. Es gab zum Beispiel eine Notiz, Coray sei in die Türkei abgereist, 10 Tage später folgte dann die Meldung, dass er und seine Mitarbeiter in Konstantinopel gut angekommen seien. Diese regelmässigen Meldungen in der Zeitung ergaben von 1916 bis zum Tod Corays 1946 einen klaren roten Faden. Denn Erni verfolgte diese ganze Zeit und war bis im Alter von 80 Jahren als Redaktor tätig. Er starb 1961 94-jährig. Natürlich suchte ich auch in anderen Zeitungen nach Informationen. Da hilft das digitale Zeitalter sehr. Es wurden viele und gehaltvolle Nachrufe geschrieben – Quellen aus erster Hand von Leuten, die mit ihm gearbeitet hatten und ihn kannten. Das St. Galler Staatsarchiv, das Archiv in Fribourg und die Mediathek im Wallis zum Beispiel hatten ausserdem auch eine riesige Auswahl an historischen Fotos. Anstatt diese weiterhin im Dunkeln verstauben zu lassen, war mein Plan, sie zwischen zwei Buchdeckeln zu veröffentlichen. Die Leute sollten diese beeindruckenden Bilder und die Geschichte kennen lernen.
cvr: Das ist ein Geschenk für uns, denn es ist ein literarisches Werk und ein gelungen komponiertes Buch entstanden. Es zeigt die temporären Gerüste – eine regelrecht ephemere Baukunst – bleibend auf.
JC: Ehrlich gesagt, dachte ich schon immer, ich habe den falschen Beruf gelernt (schmunzelt). Ich war Lehrer und Redaktor, beschäftigte mich also mit der mündlichen Sprache. Die Nachrichten, die ich bei meiner Arbeit schrieb, gingen über den Äther und alles war weg. Wenn ich etwas grafisch darstelle oder etwas niederschreibe, dann kann ich in dieser, mir entsprechenden Art wesentlich mehr bewirken. Ich sagte meiner Frau schon oft, dass es mein Ziel sei, einmal ein Buch zu schreiben. Und das habe ich jetzt getan. Und das ist jetzt ok.
cvr: Die Reaktionen auf das Buch sind überwältigend! Cornel Doswald – ein Mitglied der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst – schrieb treffend und stellvertretend: «Heute kam Post, gewichtig und gross, aber vor allem grossartig. Dieses Coray Buch ist unglaublich, kein bisschen trocken und spröde, sondern reich bebildert und doch fundiert. Ein bisschen wünscht man sich selber mal sowas zustande zu bringen.» Andere schrieben, das Buch liege auf dem Tisch des Pausenraums und wie ein Magnet ziehe es die Mitarbeitenden an.
JC: Das sind schöne Geschichten. Auch ich habe eine ähnliche Erfahrung gemacht. Eine interessierte Leserin, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als ein Kilogramm heben darf, hätte das Buch auch gerne gelesen. Kurzerhand haben wir es in acht Stücke geschnitten. Nun kann sie jedes einzelne Teilstück gewichtsgerecht auf den Schoss nehmen, anschauen und lesen.
cvr: Man erkennt, wie viel Leidenschaft in dieser Arbeit steckt. Was hat sie angetrieben, diese riesige Arbeit anzugehen?
JC: Ich habe durchaus Interesse an Bauten. Auch durch meinen Sohn, der Industriedesigner ist. Es war aber die Person Richard Coray, die mich im Speziellen gepackt hatte. Die vielen Reaktionen, die Faszination für seine Konstruktionen und für seinen Tatendrang haben in mir wohl den Jägerinstinkt geweckt. Ich bin zwar kein Jäger, aber die Jagd auf Ingenieurbaukunst passt. Die läuft nicht weg, da muss man «nur» die Motive suchen und finden.
cvr: Was hat sie denn in diesen Jahren der Aufarbeitung am meisten überrascht – eine schöne Trouvaille?
JC: Das ganze Buch ist eine Überraschung. Ich konnte mir am Anfang gar nicht vorstellen, dass ich so viel Material finden würde. Speziell stolz macht mich die Geschichte von der Arbeit Corays in der Türkei. Man wusste bislang sehr wenig darüber, und das, was man vermeintlich zu wissen glaubte, konnte nach meinen ersten Recherchen nicht ganz richtig sein. Darin bestätigt wurde ich, als ich irgendwann über drei Ecken zu einem Sohn von Martin Meiler kam. Meiler hatte damals mit Richard Coray in der Türkei gearbeitet. Er hatte Notizen zurückgelassen, die der Sohn aufbewahrt hat. Diese waren auf einem Blatt geschrieben. Im Weiteren hatte Meiler auch einige Erinnerungen im Jubiläumsbuch von Gustav Bener zum 60-igsten Geburtstag von Richard Coray notiert. In seinen Notizen korrigierte Meiler die Angaben und Beschreibungen im Bener-Buch. Meilers Notizen enthielten zwei Ortsnamen: Belemedik und Kuscular. Über das Internet erfuhr ich mehr über diese Ortschaften und fand Fotos von Gunter Hartnagel, der sich stark mit den Ereignissen im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs beschäftigt. Ich setzte mich mit ihm in Kontakt. Von ihm habe ich viel über die Region erfahren. Aus diesen beiden Quellen – Meiler und Hartnagel – ergaben sich schliesslich die schlüssigen Neuigkeiten, die so noch nie zusammengetragen worden waren. Und zwar in einer Menge, die mich selbst ganz sprachlos gemacht hat. Denn infolge dieser Informationen schrieb ich wiederum das Deutsche Bundesarchiv in Koblenz und das ehemalige Archiv der Firma «Philipp Holzmann AG» an – jene Firma, die am Bau der Bagdadbahn mitwirkte. Die Bahn wurde damals von den Deutschen gebaut, um Material in die Kriegsgebiete am Persischen Golf und am Suezkanal zu transportieren. Der Bündner Ingenieur Josef Dedual, der für die deutsche Firma Holzmann in der Türkei tätig war, hatteCoray überzeugt, den Auftrag für die Brückengerüste anzunehmen. Beim Bundesarchiv lag nicht viel mehr Material, als ich schon vorliegen hatte. Aber das Archiv Holzmann – es wurde vom BBWA, dem Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv aufgearbeitet – schickte mir etwa 450 kleine Bilder von den damaligen Bautätigkeiten in dieser Region. Mit grossem Interesse habe ich alle Bilder gesichtet und jene rausgesucht, worauf ein Gerüst zu sehen war. Ich erhielt diese dann in einer hohen Auflösung – Vor- und Rückseite. Und auf einer dieser Rückseiten eines Fotos von Kuscular fand ich das Datum 16. Juli 1916 – das Datum, an dem Coray und seine Zimmermannen dort waren. Das war für mich die Bestätigung, dass alle Puzzleteile zusammenpassten!
cvr: Es scheint, als hätten sie immer wieder aufs Neue Quellen gefunden, woraus sich immer wieder neues Material ergab.
JC: Das kann man so sagen. Auf der Rückseite des Bildes stand beispielsweise auch noch der Hinweis, dass die Station Kuscular 303 km von Konya entfernt war. Konya, muss man wissen, ist die Anfangsstation der Bagdadbahn. Es war ein Leichtes, die Brückenstandorte geografisch zu prüfen und zu bestätigen. So kam alles Stück für Stück zusammen.
cvr: Gab es Momente, die sie verleiten liessen, das Buchprojekt vorzeitig abzuschliessen? Oder wie kam es, dass sie letztlich zu einem Abschluss kamen?
JC: Eigentlich wollte ich die Arbeit ein Jahr früher, im Herbst 2020, abschliessen. Doch zu regelmässig kam ich noch an neue Informationen. Der Film von Susanna Fanzun «Schwindelfrei – Richard Coray, der Konstrukteur des Lehrgerüsts des Wiesner Viadukts», der im November 2020 gezeigt wurde, löste beispielsweise erneut eine Welle an Informationen aus. So war ich froh, dass ich diese noch im Buch integrieren konnte. Im Laufe des Sommers 2021 aber versiegte diese Flut, ich erkannte, dass nicht mehr viel Neues aufgedeckt werden konnte. Das war der Moment des Schlussstrichs.
cvr: Es ist ohnehin erstaunlich, dass die vergänglichen Bauten von Richard Coray so umfangreich dokumentiert sind. Es bestätigt, dass er zu Lebzeiten bereits Eindruck gemacht hat und die Leute schon damals enorm fasziniert von ihm waren.
JC: Das ist in der Tat so. Dass eine Zeitung praktisch ein Tagebuch von seinem Leben führt, ist keinesfalls selbstverständlich und hat Seltenheitswert. Auch scheint es, als ob jeder, der einen Fotoapparat besass, diese Werke fotografiert hat. Bauherrschaften der Werke der RhB, von der Sittertobel- und Gmündertobelbrücke, in Fribourg und Genf beauftragten sogar Profifotografen, um die Arbeiten zu dokumentieren. So kamen mir auch qualitativ hochstehende Bilder für die Publikation in die Hände. Das bereitete schon während der Arbeit am Buch sehr viel Freude.
cvr: Würden sie ein solches Buch sofort wieder beginnen? Oder braucht es rückblickend eine gewissen Ahnungslosigkeit was den Aufwand betrifft?
JC: Das kann ich so nicht beantworten. Die ganze Arbeit war ein Annäherungsprozess an den finalen Umfang. Ich stellte mir vorerst nämlich einen Buchumfang von überschaubaren 100, 150, maximal 200 Seiten vor. Ausserdem wollte ich nicht alles alleine erstellen, sondern bat Jürg Conzett und Andres Kessler sowie Peter Gysi um Unterstützung. Meine erste Veranschlagung war also eine totale Fehleinschätzung. Im Laufe der Zeit holte ich Offerten für 200 Seiten, dann für 300, dann noch eine für 350, für 450, und am Schluss für 500 Seiten ein. So hat sich das schrittweise entwickelt. Glücklicherweise konnte ich mir die Zeit dafür nehmen.
cvr: Braucht es für solche Werke pensionierte Leute mit Leidenschaft oder ist das auch anderweitig möglich?
JC: Ja, es braucht pensionierte Leute mit Leidenschaft, die sehr vieles selber machen können. Anderweitig würden die Kosten ausufern. Wichtig war vor allem, dass ich ein Layoutkonzept hatte, das ich beliebig erweitern, ändern und anpassen konnte. Voraussetzung war auch, dass ich das Buch selber herstellen konnte. Ich hätte nicht jedes Mal wieder mit meinen Extra-, Änderungs- und Erweiterungswünschen zu einer Druckerei gehen können. Das hätte für beide Seiten sehr viel Nerven gekostet und horrende Kosten verursacht. Das hätte in diesem Fall bestimmt 4-500'000.- sFr. mehr gekostet. Und natürlich braucht es Leute, die dieses Projekt finanziell unterstützen, was hier ebenfalls gut gelang. Selbst der Verlag war begeistert – harzte der Start noch etwas, entstand danach dafür eine sehr schöne Dynamik und eine sehr angenehme Zusammenarbeit. Ein Mitarbeiter des Verlags Scheidegger & Spiess, meinte am Schluss nur: «Ein Wahnsinn, das Buch!» Diese Reaktion – und viele weitere – haben mich für viele Stunden Arbeit entschädigt.
cvr: Es ist ein Buch, dass von Anfang an begeisterte. Eine Unterstützung lag auf der Hand. Man kann nur hoffen, dass es immer wieder Leute gibt wie Sie, Herr Clopath. Vielen Dank für die wundervolle Arbeit!
JC: Ich habe das sehr gern gemacht.
Johann Clopath (1951) hat während vieler Jahre als Redaktor und Leiter Information bei Radiotelevisiun Svizra Rumantscha gearbeitet. Davor war er Lehrer und Redaktor verschiedener romanischer Publikationen. Seine Passion sind historischen Recherchen und die Fotografie. Johann Clopath ist in Lohn am Schamserberg aufgewachsen und lebt heute in Trin Mulin.